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Die Reise von London nach Santiago de Chile auf der anderen Seite der Erde dauerte vierundzwanzig Stunden und drei Spielfilme. Dann noch viereinhalb Stunden mit der LAN, der chilenischen Fluggesellschaft, bis nach Punta Arenas, einem grauen, eisfreien Hafen am Fuß der Anden – und am Arsch der Welt. Wir hätten direkt nach Ushuaia fliegen können, aber falls Remlikov uns hereingelegt hatte, wollte ich nicht ausgerechnet dort ankommen.

Es war Herbst auf der südlichen Erdhalbkugel, und wir befanden uns ganz unten an der Spitze. Der Himmel war schiefergrau, und ein beständiger Wind schlug uns jedes Mal ins Gesicht, wenn wir vor die Tür traten. Wir brauchten einen Tag, um uns daran zu gewöhnen. Remlikov hatte gesagt, Cavellos Ranch liege in der Nähe von Ushuaia, zwölf Stunden entfernt.

»Wo, zum Teufel, liegt Ushuaia?« Andie blickte auf die

Landkarte und kniff die Augen zusammen.
»Süden.«
»Ich dachte, wir sind im Süden.« Sie schnitt zynisch eine

Grimasse.
Ich zeigte auf einen Fleck an der Spitze von Südamerika.
»Ganz unten im Süden.«
Jahrelang war Ushuaia für sein abgelegenes Gefängnis bekannt gewesen. Ich hatte ein Buch von Bruce Chatwin über
Patagonien gelesen. Er beschrieb ein sagenhaftes, geheimnisvolles Land. Magellan war dort vor Anker gegangen und war auf
Indianer gestoßen, die nicht viel angehabt hatten und sich in
diesem äußerst unwirtlichen Klima um Lagerfeuer scharten.
Feuerland hatte er es genannt. Tierra del Fuego.
Als wir am zweiten Tag morgens startklar in unserem gemieteten Land Cruiser saßen, meinte Andie: »Ich kann nur sagen, wenn sich herausstellt, dass Remlikov ein Lügner ist, wird die
Heimreise ziemlich lang.«
Die Strecke nach Südosten war vom Wetter stark gezeichnet
und windig, aber so etwas wie diese Landschaft hatte ich noch
nicht gesehen. Unsere Straße führte steil die Anden hinauf, aus
den weitläufigen Ebenen ragten schroffe, gezackte Berge,
dazwischen glitzerten massive Gletscher. Die felsige Kanalküste
wand sich unregelmäßig durchs Gebirge, wie sie es schon vor
Millionen von Jahren getan haben musste. Als hätte Gott sich
nicht entscheiden können zwischen wunderschön und trostlos.
Hinter fast jeder Kurve öffneten sich die Wolken aufs Neue und
ließen einen Spalt des leuchtend blauen Himmels durchschimmern.
Schließlich überquerten wir die Grenze nach Argentinien. Die
Straße wand sich um den Beagle-Kanal herum, Inseln und
Halbinseln ragten ins graublaue Meer hinaus, das wirklich
eiskalt aussah. Hin und wieder winkten uns Männer vom
Straßenrand aus zu, wie sie, Schals über ihre verwitterten
Gesichter gelegt, auf ihren Pferden saßen. Hier sah es so öde aus
wie auf dem Mond.
Schließlich kamen wir an einer cantina vorbei, seit vielen
Kilometern dem ersten Laden. Gauchos saßen davor, kräftig
gebaute Bewohner vom Ort, die uns musterten und sich wahrscheinlich fragten, ob wir uns in der Jahreszeit geirrt hatten. »Ich glaube, wir sollten lieber anhalten«, sagte Andie. »Der nächste McDonald’s ist wahrscheinlich ungefähr fünftausend Kilometer entfernt.« Das Fleisch in der cantina wurde
auf offener Flamme gegrillt und mit einer grünen chimichurriSoße und Gemüse auf Tortillas serviert. Nicht umwerfend, aber
auch nicht schlecht. Wir machten ein Foto von einem Schild, auf
dem in einem Dutzend Sprachen »Antarktis 1299 km« stand. Ein junger Cowboy mit buntem Schal ließ Andie auf sein
Pferd steigen. An ihr Lächeln würde ich mich bis zu meinem
Tod erinnern. Ich hoffte, das wäre noch nicht so bald. Andie blickte mich wehmütig an, als wir wieder in den Wagen
stiegen. »Ich wünschte, Jarrod wäre hier, Nick. Er hat schon so
viele Dinge verpasst.«
Am Stadtrand von Ushuaia gab es keine Ansichtskarten. Es
war die letzte Haltestelle vor der Antarktis.
Die Stadt zog sich vom Meer aus einen fast senkrechten Berg
hinauf. Von Haifa aus war dies das andere Ende der Welt, nicht
nur geografisch gesehen. Der Ort sah aus wie eine Grube. Vom
Industriehafen führten schmale Straßen voller Einheimischer
den Hang hinauf, die mit allem handelten, von Pinguinpuppen
bis zu Antarktis-T-Shirts. Überall streunten schäbige Hunde
herum. Vor den niedrigen Häusern standen seltsame Körbe auf
Pfählen. Im Vergleich zu der atemberaubenden Schönheit, der
wir bisher auf dieser Reise begegnet waren, war dies hier ein
Schlag ins Gesicht.
Wir fanden in der Nähe des Hafens ein bescheidenes Hotel
namens La Bella Vista, das unser Reiseführer als ordentlich
beschrieb. Ich blickte zu Andie und zuckte mit den Schultern.
»Eigentlich hatten wir doch das Ritz gebucht.«
Das Bett in unserem Zimmer war einsfünfzig breit, an der
Wand hingen ein paar Bilder der Stadt, wie sie vor hundert
Jahren ausgesehen hatte, sowie eine gerahmte Seekarte der
Antarktis, die hier so üblich war wie in Hotelzimmern in Rom
ein Bild vom Petersdom.
Wir traten hinaus auf den winzigen Balkon mit Blick auf den
Kanal. Dunkle Wolken hingen tief am Himmel, und auf der
anderen Seite des grauen Gewässers erhoben sich sanft die
Berge aus der Ebene. Ein kalter, kräftiger Wind schlug uns ins
Gesicht.
»Du kannst wirklich nicht behaupten, ich hätte dir keine
interessanten Orte gezeigt.«
Andie legte ihren Kopf auf meine Schulter. »Nein, das kann
ich von dir nicht behaupten.«
Wir wussten beide, dass der Spaß jetzt vorbei war.

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